nets21 – Sommertagung

Sprachliches Handeln in Unterrichtsprozessen untersuchen. Fachspezifische und fachübergreifende Perspektiven

21.-22.08.2023, PH Zug

Informationen

Teilnahmegebühr: CHF 120 (regulär), CHF 80 (reduziert*)
Conference Dinner: CHF 60

*Zur reduzierten Gebühr sind Nachwuchsforschende ohne feste Anstellung (resp. ohne Spesenvergütung) berechtigt.

Thema

Die Sommertagung 2023 widmet sich der Schärfung eines fächerübergreifenden Verständnisses von Sprachlichkeit unterrichtlichen Handelns. Die Tagung legt daher den Fokus auf die Bedeutung von Sprache für Lehr-Lernprozesse sowohl aus einer fachspezifischen als auch einer fachübergreifenden Perspektive. Das Thema wird in verschiedenen Beitragsformaten aufgegriffen, in denen sowohl Unterrichtskommunikation als auch Lehr-Lernarrangements aus der Perspektive verschiedener Fachdidaktiken mit Fokus auf die «Sprachlichkeit» thematisiert werden (z.B. Mathematik, Naturwissenschaften, Geschichte und Deutsch/Sprache).

Als Keynote-Referent:innen werden Prof. Dr. Hendrik Härtig (Universität Duisburg-Essen, Physikdidaktik) sowie Prof. Dr. Vivien Heller (Bergische Universität Wuppertal, Deutschdidaktik) & Prof. Dr. Miriam Morek (Universität Duisburg-Essen, Deutschdidaktik) sprechen.

In weiteren Fachvorträgen aus verschiedenen Disziplinen wird ebenfalls die jeweilige fachdidaktische Perspektive auf die Bedeutung der Sprache für Unterrichtsprozesse und Aufgabenstellungen beleuchtet.

Ausserdem finden an beiden Tagen interdisziplinäre Datensitzungen statt, in denen sowohl aus fachdidaktischer als auch deutschdidaktischer Perspektive Videodaten und Aufgabenstellungen aus dem (Fach-)Unterricht gemeinsam analysiert und diskutiert werden. Der gemeinsame Austausch findet in einer Podiumsdiskussion mit Vertreter:innen der Fach- und Deutschdidaktik seinen Abschluss.

Bitte melden Sie sich für die Tagung über den obenstehenden Link (Anmeldeformular) an.

Organisation

Rebekka Studler, Judith Kreuz, Claudia Hefti,
Afra Sturm, Stefan Hauser, Dieter Isler, Britta Juska-Bacher, Hansjakob Schneider

Programm

Montag, 21. August 2023

9:30 – 10:00

Eintreffen / Kaffee

10:00 – 10:20

Begrüssung (Aula)

Begrüssung: Afra Sturm (PH FHNW)

Grusswort: Esther Kamm (PH Zug)

10:20 – 11:20

Hauptvortrag (Hendrik Härtig, Universität Duisburg-Essen) (Aula)

Sprache im Physikunterricht

Hendrik Härtig (Universität Duisburg-Essen)
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11:30 – 12:15

Fachvorträge (020, 021, 022)
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Liest du noch oder evaluierst du schon? Prozesse und Handlungsfelder eines epistemisch wachsamen Lesens

Maik Philipp (PHZH)

Längsschnittliche Zusammenhänge zwischen exekutiven Funktionen und Erzählfähigkeiten im Kindergartenalter

Judith Schönberger (PHTG)

Differenzaktualisierung und Diversitätsorientierung im Grammatikunterricht – empirische Fallbeispiele

Matthias Hölzner (Universität Duisburg-Essen)

12:15 – 13:45

Mittagessen (Mensa PH Zug)

13:45 – 14:25

Datensitzung – Einführungen (Aula)

Projekt I: Planung, Unterricht und Reflexion in den Naturwissenschaften (PURPUR)
Projekt II: Leseverstehensprozesse (HistText)
Projekt III: Prozesse der Sprachförderung im Kindergarten (ProSpiK)

14:30 – 16:00

Datensitzungen (020, 021, 022)

Projekt I: PURPUR

Input: Christoph Gut & Hansjakob Schneider (PHZH)

Moderation: Hansjakob Schneider (PHZH)

Beobachtung: Hendrik Härtig (Universität Duisburg-Essen)

Projekt II: HistText

Input: Miriam Dittmar & Sandro Brändli (PH FHNW)

Moderation: Rebekka Studler (PH FHNW)

Beobachtung: Esther Wiesner (PH FHNW)

Projekt III: ProSpiK

Input: Barbara Drollinger (PHZH) & Dieter Isler (PHTG)

Moderation: Dieter Isler (PHTG)

Beobachtung: Miriam Morek (Universität Duisburg-Essen)

16:00 – 16:15

Kaffeepause

16:15 – 17:00

Fachvorträge (020, 021, 022)
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(Literarisches) Lernen im Gespräch: Unterrichtsgespräche über Bilderbücher mit hohem Polyvalenzgrad

Lisa Mehmel (Universität Kassel)

Die Implementierung des sprachbewussten Fachunterrichts auf Hochschulebene: Was leistet ein interdisziplinär-fachdidaktisches Konzept?

Tim Sommer & Nina Gregori (PH FHNW)

Mündliches Argumentieren in der Politischen Bildung fördern – Empirische Einblicke in ein Strategietraining

Liliane Wenger, Monika Waldis, Acelya Aydin & Manuel Hubacher (PH FHNW)

17:00

Apéro PH Zug (Terrasse)

18:30

Conference Dinner (Theater Casino Zug)

Dienstag, 22. August 2023

9:30 – 10:00

Eintreffen / Kaffee

10:00 – 11:00

Hauptvortrag (Vivien Heller, Universität Wuppertal & Miriam Morek, Universität Duisburg-Essen) (Aula)

Von der Henne zum Ei und wieder zurück. Zur Wechselwirkung zwischen diskursiven Praktiken und anspruchsvollen fachlichen Lernprozessen in Unterrichtsgesprächen

Vivien Heller (Universität Wuppertal) & Miriam Morek (Universität Duisburg-Essen)
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11:15 – 12:00

Fachvorträge (022, 028, 029)
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Literale Prozeduren und Redemittel im Kontext des forschenden Lernens im NMG-Unterricht fördern

Verena Pisall & Katharina Kalcsics (PH Bern)

Zur Beziehung zwischen Textverstehen, fachlicher Aufgabenlösung und Notizen

Lisa-Marie Wienecke (Leuphana Universität Lüneburg)

Analytischer Kompetenzraster für die Textproduktion

Ueli Jurt & Lukas Bannwart (PH Schwyz)

12:00 – 13:30

Mittagessen (Mensa PH Zug)

13:30 – 14:00

Datensitzung – Einführung (Aula)

Projekt IV: Lernen im Gespräch (LeiG)

Kontextualisierung der Daten: Simona Geissbühler (PHZG)

Input: Afra Sturm (PH FHNW) & Kurt Hess (PHZG)

14:10 – 15:10

Datensitzungen (022, 028, 029)

Gruppe 1

Moderation: Afra Sturm (PH FHNW)

Beobachtung: Vivien Heller (Bergische Universität Wuppertal)

Gruppe 2

Moderation: Britta Juska-Bacher (PH Bern)

Beobachtung: Esther Wiesner (PH FHNW)

Gruppe 3

Moderation: Stefan Hauser (PHZG)

Beobachtung: Dieter Isler (PHTG)

15:10 – 15:40

Kaffeepause

15:40 – 16:00

Bündelung der Datensitzungsdiskussionen (Aula)

Beobachtende der Datensitzungen

16:00 – 17:00

Podiumsdiskussion (Aula)

Christoph Gut (PHZH)
Vivien Heller (Bergische Universität Wuppertal)
Kurt Hess (PHZG)
Anke Schmitz (PH FHNW)

Moderation: Stefan Hauser (PHZG)

17:00

Ausblick & Abschied

Abstracts Hauptvorträge

Sprache im Physikunterricht – Hendrik Härtig (Universität Duisburg-Essen)

Sprache ist sowohl Voraussetzung des Lernens als auch Lernziel, da Lernende sich im Physikunterricht über physikalische Konzepte austauschen und darüber hinaus als Teil der Gesellschaft in naturwissenschaftlich-technischen Kontexten partizipieren. Sprachbezogene Heterogenität als Voraussetzung sollte im Rahmen der Unterrichtsplanung berücksichtigt werden. Wenn Sprache zusätzlich Lernziel ist, muss geklärt werden, was genau der Physikunterricht hier spezifisch beitragen kann, denn Sprachförderung ist eine Aufgabe, die quer zu den Schulfächern liegt und an der sich Physik im Sinne eines sprachexpliziten Physikunterrichts beteiligt. Zusätzlich ist Sprache Teil des Lernwegs, wenn sie in ihrer kognitiven und epistemischen Funktion gezielt genutzt wird, so sollten Lehrkräfte ihren Unterricht auch hier sprachbewusst gestalten. Entlang dieser drei Aspekte werden im Vortrag einerseits Forschungsbefunde, andererseits praxisorientierte Handlungsanweisungen zur Sprache im Physikunterricht beschrieben und diskutiert. 

Von der Henne zum Ei und wieder zurück. Zur Wechselwirkung zwischen diskursiven Praktiken und anspruchsvollen fachlichen Lernprozessen in Unterrichtsgesprächen – Vivien Heller (Universität Wuppertal) & Miriam Morek (Universität Duisburg-Essen)

Empirisch gut belegt ist, dass sprachliche Kompetenzen eine wesentliche Rolle für das fachliche Lernen spielen. Weniger klar ist hingegen, wie das Zusammenspiel von sprachlichen Kompetenzen und fachlichem Lernen genau zu modellieren ist. Bisherige Forschungen haben vornehmlich auf wortschatz-, grammatik- und lesebezogene Kompetenzen fokussiert. Diskurskompetenz als die Facette sprachlicher Kompetenz, die sich auf das Erkennen sequenziell-kommunikativer Erwartungen in Gesprächen und die Verbalisierung komplexer Zusammenhänge bezieht, hat demgegenüber bislang wenig Beachtung erfahren. In unserem Vortrag legen wir den Schwerpunkt daher auf diesen in den Fachdidaktiken und der Bildungsforschung bis dato eher randständig betrachteten Bereich. Konkret arbeiten wir zunächst die Bedeutung diskursiver Praktiken für Prozesse der Konstruktion, Aushandlung und Vermittlung von Wissen – und damit die Wichtigkeit von Diskurskompetenz für die Partizipation an Lernprozessen – heraus. Mit Hilfe eines integrierten gesprächsanalytischen und fachdidaktischen Zugangs zeigen wir, wie fachliche Wissenskonstruktionsprozesse und diskursive Praktiken in Unterrichtsgesprächen ineinandergreifen, und argumentieren, dass Unterrichtsgespräche als ein ‚double opportunity space‘ für fachliches und diskursives Lernen begriffen werden müssen. Darauf aufbauend veranschaulichen wir in einem fächervergleichenden Zugriff, dass fachliche Lerngegenstände und Wissenskonstruktionsprozesse jeweils spezifische Formen der Implementation diskursiver Lerngelegenheiten verlangen. Somit sind, wie wir abschließend aufzeigen, für die Entwicklung von integrativen Ansätzen diskursiven und fachlichen Lernens (inter)disziplinäre Zugänge notwendig, die diskursive Lerngelegenheiten fach- bzw.  gegenstandsspezifisch konkretisieren.

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Abstracts Fachvorträge

Liest du noch oder evaluierst du schon? Prozesse und Handlungsfelder eines epistemisch wachsamen Lesens – Maik Philipp (PH Zürich)

Ein Bildungsziel verschiedener Fachdidaktiken besteht darin, dass Schüler:innen adäquate internale mentale Modelle von external repräsentierten Sachverhalten aufbauen. Solche externalen Repräsentationen sind nicht nur, aber auch sprachlich repräsentiert. Durch makroskopische Veränderungen wie Digitalisierung und ubiquitären Zugang zu Aussagen und Perspektiven im Internet ist jedoch eine Entwicklung zu beobachten, die eine adäquate mentale Modellbildung erschwert (Braasch & Graesser, 2020). Weil epistemische Gatekeeping-Mechanismen im Internet nur partiell greifen, sind es die Lesenden selbst, die den epistemisch unsicheren Status von Aussagen auflösen müssen. Impfentscheidungen in Pandemiezeiten, Massnahmen gegen den Klimawan¬del, politische Willensbildung, die Einschätzung, ob Personen oder Textbots wie ChatGPT hinter Texten stehen, sind Beispiele für solche Situationen.
Dieses Phänomen hat die kognitionspsychologische Leseforschung aus der Warte der Expert:innen-Lai:innen-Kommunikation zu bearbeiten begonnen (Bromme et al., 2018). Ein anderer Strang der Forschung, der durch die Fake-News-Thematik an Bedeutung erlangt hat, geht der Frage nach, wie Personen mit unwahren, implausiblen oder tendenziösen Aussagen verfahren (Rapp & Salovich, 2018). Beide Perspektiven eint, dass sie sich kognitiven Prozessen der Kohärenzbildung unter erschwerten Bedingungen widmen (Saux et al., 2021). Solche Prozesse sind Aspiranten der fächerübergreifenden Perspektive auf generische und spezifische Verstehensprozesse, in denen der Umgang mit Unsicherheit über Regeln der Epistemik erfolgen kann.
Aus einer fachdidaktischen Perspektive stellen sich vor diesem Hintergrund zwei Fragen, die der Vortrag fokussiert:

Welche Prozesse und welche Prozessgruppen sind es denn, die Personen dafür nutzen können, mit epistemisch unsicheren Informationen angemessen zu verfahren? Die erste Frage wird mittels einer Theoriesynopse vorgenommen, deren Ergebnis eine
Heuristik von Prozessgruppen darstellt, die das epistemische Validieren, Corroboration, Sourcing und weitere Prozesse beinhaltet.

Welche didaktischen Massnahmen bieten sich an, sie zu fördern? Die zweite Frage nimmt gezielt interdisziplinäre Förderansätze
im Sinne von prototypischen Merkmalen der Fördermassnahmen in den Blick. Ziel ist es, dadurch Handlungsfelder zu benennen.

Längsschnittliche Zusammenhänge zwischen exekutiven Funktionen und Erzählfähigkeiten im Kindergartenalter – Judith Schönberger (PH Thurgau)

Schulerfolg hängt von vielen Faktoren ab. Dazu gehören auch ausreichend entwickelte sprachliche sowie literale Fähigkeiten (Hulme et al., 2015). Erzählfähigkeiten beispielsweise haben fächerübergreifend einen hohen Stellenwert (Griffin et al., 2004; Isler, 2014). Neben der Fähigkeit eine Erzählung zu konstruieren und mündlich zu teilen, sind auch die sogenannten exekutiven Funktionen massgeblich für eine erfolgreiche Schullaufbahn (Allan et al., 2014). Diese kognitiven Fähigkeiten ermöglichen es, das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Umweltbedingungen wie dem schulischen Kontext zu steuern (McClelland et al., 2007). Exekutive Funktionen und Erzählfähigkeiten sind beides zielgerichtete Fähigkeiten, die sich besonders stark in der Vorschulzeit entwickeln (Roth, 2009; Zelazo & Carlson, 2020). Zudem gelten beide Fähigkeiten als bedeutsam für spätere Schreib- und Leseleistungen (Babayiğit et al., 2021; Jacob & Parkinson, 2015). Daher ist es nicht überraschend, dass frühere Forschungen auf Zusammenhänge zwischen Erzählfähigkeiten und exekutiven Funktionen hindeuten. Einige Studienergebnisse zeigen einen prädikativen Charakter der exekutiven Funktionen auf die Erzählfähigkeiten (Ögel Balaban & Hohenberger, 2020). Andererseits weisen andere Ergebnisse auf eine direktionale Beziehung hin (Friend & Bates, 2014). Im Rahmen der durchgeführten Interventionsstudie EmTiK (Erwerbsunterstützung mündlicher Textfähigkeiten im Kindergarten) wurden beide Konstrukte erhoben. Die Erzählfähigkeiten wurden mit dem eigens für die Interventionsstudie entwickelten Instrument MuTex erfasst (Isler et al., 2018). In diesem Testverfahren wird das Kind aufgefordert, einen soeben gezeigten sprachfreien Trickfilm nach zu erzählen. Die exekutiven Funktionen wurden mittels der app-basierten Minnesota Executive Function Scale («MEFS»; Carlson & Zelazo, 2014) erhoben. Die EmTiK-Studie umfasste drei Messzeitpunkte über eineinhalb Jahre. Die Stichprobe bestand aus 292 Kindergartenkinder (54% Mädchen; Durchschnittsalter bei T1=58,4 Monate; SD=4.4 Monate). Die vorliegende Studie untersucht mittels dieser Daten die längsschnittlichen Zusammenhänge von exekutiven Funktionen und Erzählfähigkeiten. Es wurde dabei das Random Intercept Cross-Lagged Panel Model als statistisches Verfahren angewandt, um spezifisch zu prüfen, ob eine reziproke Beziehung zwischen den beiden Konstrukten besteht. Im Vortrag werden die Ergebnisse dieser Auswertungen präsentiert und diskutiert.

Differenzaktualisierungen und Diversitätsorientierung im Grammatikunterricht – empirische Fallbeispiele intersektionaler Realitäten und entwicklungslogische Differenzsensibilität – Matthias Hölzner (Universität Duisburg-Essen)

Die deutschdidaktische Betrachtung intersektionaler Realitäten in unterrichtlichen Prozessen befindet sich noch weitestgehend in den Anfängen (vgl. u.a. Dannecker 2020: 19): Differenzkategorien wie sonderpädagogische Förderbedarfe, soziale Herkunft, Geschlecht, Alter und DaZ (vgl. Bock 2019: 32) stehen nicht unabhängig nebeneinander, sondern sind auf vielfältige Art und Weise miteinander verwoben – „es ist deren Verschränktheit, deren gegenseitige Beeinflussung (…), die es gerade für Pädagog*innen sehr schwer macht, dieser Komplexität ohne reproduzierende Komplexitätsreduktionen gerecht zu werden [Hervorhebung im Original]“ (Grummt 2021: 103). Wie stark solche intersektionalen Realitäten Lernprozesse im Grammatikunterricht beeinflussen, soll im vorliegenden Beitrag anhand von Datenmaterial, das im Rahmen einer qualitativen Studie in einer gymnasialen inklusiven Lerngruppe in einer halb-offenen, teil-standardisierten teilnehmenden Beobachtung (vgl. Schwinghammer 2018) erhoben wurde, exemplarisch vorgeführt werden. Die Arbeitsergebnisse der Lernenden und die Audiographien von insgesamt zehn Unterrichtsstunden, die sequenzweise transkribiert und mittels der qualitativen Inhaltsanalyse (QIA, Mayring 2015) ausgewertet wurden, sind im Sinne einer „Methoden-Triangulation“ (Müller 2019: 164) mit den Unterrichtsbeobachtungen kombiniert worden. Es wird deutlich, wie die auf verschiedensten Differenzkategorien basierenden strukturellen Prägungen und daraus abgeleitete Differenzierungen das Anbahnen des Erreichens individueller Lernziele unnötig limitieren können. Es zeigt sich aber auch, wie durch Anbindung an die entwicklungslogische Didaktik (Feuser 1995) und durch kontext- und situationsspezifische Differenzierungen (vgl. Budde / Hummrich 2015: 173) die Reproduktion von Differenzkonstruktionen vermieden werden und der Entwicklung einer diversitätsorientierten Deutschdidaktik (vgl. Dannecker / Schindler 2022) Vorschub geleistet werden kann.

(Literarisches) Lernen im Gespräch: Unterrichtsgespräche über Bilderbücher mit hohem Polyvalenzgrad – Lisa Mehmel (Universität Kassel)

Insbesondere der Grundschulunterricht ist oftmals auf einen störungsarmen Ablauf ausgerichtet und findet hinsichtlich der Gesprächsführung nur allzu oft in linearer Form statt (z.B. Ehlich & Rehbein 1986). Eine gewisse Ergebnisoffenheit lässt sich dabei in der Regel nicht finden. Während Grundschulunterricht demnach häufig relativ reibungsarm verläuft, kann man hinsichtlich seiner fachlichen Qualität zu einer eher skeptischeren Einschätzung kommen (Lotz 2016). Vor diesem Hintergrund sind Unterrichtsgegenstände, die mehrere Ansätze zulassen und somit die etablierte Interaktionsordnung herausfordern, in diesem Forschungsprojekt von maßgeblichem Interesse. Hierzu zählen beispielsweise besonders jene literarischen Texte, die sich durch einen besonders hohen Polyvalenzgrad auszeichnen und somit einen Spielraum für vielfältige Deutungsansätze eröffnen (Pfäfflin 2010). Auf der Suche nach Erklärungen und Bedeutungszuweisungen können die Schüler:innen miteinander ins Gespräch kommen, was wiederrum ästhetische wie literarische Lernprozesse anregen kann (Ritter 2016).
Hier setzt dieses Dissertationsprojekt an, das Aufschluss darüber geben soll, (I) welche Gesprächsstrukturen sich im Klassengespräch bei der Erschließung eines literarischen Werks identifizieren lassen, (II) welche Gesprächsstrukturen potentielles literarisches Lernen begünstigen oder behindern und (III) wie im Gespräch mit Mehrdeutigkeit und Multiperspektivität umgegangen wird.
Die im Kontext dieses laufenden Forschungsprojekts erhobenen Videodaten von Bilderbuchgesprächen in fünf Grundschulklassen sollen dafür in einem innovativen zweischrittigen Analyseverfahren, das die Ebenen der Interaktion und der Fachlichkeit verbindet, ausgewertet werden. Zunächst wurde dafür der gesprächsanalytische Zugang gewählt, wobei in diesem Schritt vor allem eine deskriptiv-rekonstruktive Annäherung an das Material stattfinden soll (z.B. Heller & Morek 2015). In einem zweiten Analyseschritt soll eine fachlich- fachdidaktische Interpretation der entsprechenden Sequenzen erfolgen. Hier wird, auf Basis der Beobachtungen im ersten Analyseschritt, u.a. danach gefragt, inwieweit ein Austausch über textbezogene subjektive Wahrnehmungen ermöglicht wird und inwiefern die Kinder mit ihren Beiträgen aktiv an der Bedeutungskonstruktion beteiligt sind, wobei beide Aspekte eine zentrale Rolle für literarisches Lernen spielen (z.B. Fuhrmann & Merklinger 2015).
Ziel wird sein, diese beiden Perspektiven bzw. Herangehensweisen miteinander zu verbinden, um das Verhältnis, ggf. das Zusammenspiel, von identifizierten Gesprächsstrukturen und (Potentialen für) fachliches bzw. literarisches Lernen näher zu untersuchen. Neben dem methodischen Vorgehen sollen erste vorläufige Ergebnisse zur Tagung präsentiert werden.

Die Implementierung des sprachbewussten Fachunterrichts auf Hochschulebene: Was leistet ein interdisziplinär-fachdidaktisches Konzept zu einer kohärenten Ausbildung? – Tim Sommer & Nina Gregori (PH Zürich)

Die TIMSS- und PISA-Studien haben gezeigt, dass ein erheblicher Teil der Schüler*innen im deutschsprachigen Raum nicht über die notwendigen sprachlichen Fähigkeiten verfügen, um am schulischen Lernen in den unterschiedlichen Fächern teilhaben zu können. Um dem entgegenzuwirken, wird seitdem vermehrt ein sprachbewusster (Fach-)Unterricht (SBU) als Bildungsziel formuliert, der horizontal über die Fachgrenze und vertikal über die Bildungsstufen konzipiert sein sollte (Schneider et al. 2012). Obwohl sprachbewusster (Fach-)Unterricht als Bildungsziel anerkannt ist, erfolgt die Implementierung in den schulischen Unterricht eher schleppend (Schmellentin & Lindauer, 2020). Ein Problem dabei ist, dass der SBU horizontal und vertikal kohärent implementiert werden muss, wobei alle Ebenen des Bildungssystems in den Blick genommen werden müssen (Schmellentin, 2023). Dieser Prozess gestaltet sich entsprechend komplex sowie mehrdimensional. Wie die Verknüpfungen auf den unterschiedlichen Ebenen erfolgreich gelingen können, ist noch nicht bekannt.
Dieser Beitrag richtet den Blick auf die Ausbildung an den Hochschulen, wobei folgende Fragen fokussiert werden:

Wie wird das interdisziplinär-fachdidaktische Konzept des SBU in der fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen sowie der berufspraktischen Ausbildung von den Studierenden und von PH-Dozierenden eingeführt, (wieder-)aufgegriffen und weiterentwickelt?

Inwiefern wird das Potenzial des SBU als kohärenzstiftendes Studienelement ausgeschöpft? Übergeordnet soll beantwortet werden, welchen Beitrag die Ausbildung an der PH zur Implementierung leistet und welche Optimierungen abzuleiten sind.
Zur Beantwortung dieser Frage wurden im Rahmen einer explorativen Studie Interviews (n = 9) mit Studierenden, welche ein Pflichtmodul zu sprachbewusstem Fachunterricht besucht hatten, sowie mit Dozierenden ausserhalb der Deutschdidaktik und Praxislehrpersonen, welche diese Studierenden in den Reflexionsseminaren bzw. in den Praktika begleitet hatten, durchgeführt und anschliessend mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Kuckartz & Rädiker, 2022) ausgewertet. Die Resultate verweisen darauf, dass der SBU zwar Bestanteil der Ausbildung an der PH ist, dass aber mangels kohärenter Gestaltung die Studierenden Mühe haben, Konzepte des SBU in den eigenen Unterricht zu implementieren und entsprechend Optimierungsbedarf besteht.

Mündliches Argumentieren in der Politischen Bildung fördern – Empirische Einblicke in ein Strategietraining – Liliane Wenger, Monika Waldis, Acelya Aydin & Manuel Hubacher (PH FHNW)

Deliberative Demokratietheorien heben seit den 1990er-Jahren die kommunikative Aktivierung von Bürger:innen in der Meinungsbildung zu Sachfragen hervor. In der Folge wird von der Politischen Bildung erwartet, dass sie Heranwachsende in deliberative Verfahren einführt sowie deren argumentative Fähigkeiten als Teil der politischen Handlungs- und Urteilskompetenz fördert (z.B. Detjen et al. 2012). Während in Bildungskontexten der Aufbau sprachlicher Fähigkeiten sowie der Nutzen von Argumenten für Problemlösen und Wissenskonstruktion betont wird (arguing to learn), stehen in deliberativer Sichtweise die argumentative Erörterung gesellschaftlicher Problemlagen und die daraus abzuleitenden Entscheide im Vordergrund (learning to argue) (Rapanta & Felton 2022; Zohar & Nemet 2002).
Empirische Befunde zeigen, dass sich mündliches Argumentieren gezielt fördern lässt. Für Ziele der Politischen Bildung auf der Sekundarstufe I werden mässig kontroverse Problemstellungen vorgeschlagen, welche die Verschiedenheit von Positionen und deren Kontroversität sichtbar machen. Kompetitive Debatten scheinen weniger geeignet, da Schüler:innen in diesen tendenziell die eigenen Argumente verteidigen, ohne auf Argumente der Gegenseite einzugehen (Felton, Garcia-Mila & Gilabert 2009). Des Weiteren erweisen sich Kleingruppengespräche als wirksam (Schuitema et al. 2011). Noch wenig gesicherte Informationen bestehen zur Effektivität von Strategietrainings für politisches Argumentieren. Gronostay (2019) kombinierte in einer Interventionsstudie (8./9. Klasse, Gymnasien, Nordrhein-Westfalen) einen inhaltlichen Input mit einem Training, welches Aufgaben zur Untersuchung der Argumentstruktur und mündliches Probehandeln in Zweiergruppen enthielt. In der anschliessenden Fishbowl-Diskussion fanden sich in der Experimentalgruppe mehr transaktive Sprechakte in der Form von Gegenargumenten und Einwänden; die Revision eigener Argumente blieb hingegen meistens aus.
Im Folgenden untersuchen wir, inwiefern in Deutschschweizer Sekundarklassen (8./9. Klasse) eine adaptierte Version dieses Strategietrainings zur Stärkung transaktiver Dialoge führt. Es liegen videografierte Erprobungen in sechs Schulklassen zu den Themen «Bargeldlose Gesellschaft» und «nachhaltige Schule gestalten» vor. Analysiert werden erstens transaktive Gesprächsmerkmale sowie zweitens die Thematisierung gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge/Wertorientierungen. Erste Ergebnisse verweisen auf dichte transaktive Gesprächssequenzen; die Wendung hin zum Politischen fiel hingegen schwer.

Sprachliche Operatoren im Kontext des forschenden Lernens im NMG-Unterricht fördern – Verena Pisall & Katharina Kalcsics (PH Bern)

Das Konzept der «sprachlichen Operatoren» hat in den letzten Jahren vermehrt Eingang in die Forschung zum sprachsensiblen Unterricht gefunden. (u.a. bei Tajmel & Hägi-Mead 2017 oder auf den Sachunterricht bezogen bei Thürmann 2012) Wobei Operatoren je nach fachlichem Kontext etwas anderes bedeuten können (z.B. Skizzieren in BG, Deutsch und Mathematik). Zudem orientieren sich die Lehrmittel im NMG-Unterricht am forschend-entdeckenden Lernen, das sich an wissenschaftlichen Erkenntnisweisen der verschiedenen Disziplinen orientiert. Um Lehrpersonen der Primarstufe im Unterricht zu unterstützen und eine interdisziplinäre Entwicklung voranzubringen, müssen diese beiden Konzepte zusammengebracht werden. Erste Ansätze dazu haben wir für das historische Lernen entwickelt. (Kalcsics & Pisall 2019, 2021, 2023)
In unserem Vortrag zeigen wir das Verhältnis von forschendem Lernen und den Einsatz sprachlicher Operatoren auf. Wir ziehen als Grundlage zwei im Kanton Bern empfohlene NMG Lehrmittelreihen heran (NaTEch und Weitblick NMG) und geben erste Einblicke, wie der forschend-entdeckende Ansatz dort sprachlich realisiert wird, bzw. welche Textproduktionen von den Schüler:innen verlangt werden.
Im exemplarischen Vergleich mit Schüler:innentexten, die begleitend zu diesem forschend-entdeckenden Unterricht entstanden sind, diskutieren wir, wo Lehrpersonen die von uns identifizierten Sprachhandlungen durch die Vermittlung von Operatoren und sprachlichen Prozeduren (vgl. Feilke 2014, 2017, Schmölzer-Eibinger & Fanta 2014, Feilke & Rezat 2020) unterstützen können. Daraus leiten wir Anforderungen an aktuelle Lehrmittel (v.a. in Bezug auf Modelltexte) und an interdisziplinäre-fachdidaktische Aufgaben in der Grund- und Weiterbildung ab.

Zur Beziehung zwischen Textverstehen, fachlicher Aufgabenlösung und Notizen – Lisa-Marie Wienecke (Leuphana Universität Lüneburg)

Zahlreiche Studien zeigen, dass es eine Vielzahl an unterschiedlichen Einflussfaktoren gibt, die das Textverstehen beeinflussen – beispielsweise personenbezogene Merkmale wie das Geschlecht (OECD, 2019), kognitive Fähigkeiten wie das Lesestrategiewissen (Denton et al., 2015) und Lesemotivation (Liebfreund, 2021; Retelsdorf et al., 2011). Einen weiteren Prädiktor stellt die Strategienutzung dar. Entsprechend könnte das Anfertigen von Notizen im Bereich der Bearbeitung realitätsbezogener Mathematikaufgaben die Überwindung der Barriere des Übersetzens zwischen Mathematik und Realität unterstützen (Graham et al., 2020; Leiss et al., 2010; Rogiers et al., 2020).
Hierzu wurden zwei Studien mit Sekundarstufenschüler*innen durchgeführt (Studie 1 – Projekt AG Fach und Sprache: n=866 vgl. Wienecke et al., 2023), Studie 2 – DFG-Projekt Variation von Aufgaben Mathematik Physik Sprache: n=1116), deren Konzeption, Methoden und Ergebnisse detailliert im Vortrag präsentiert werden.
Zusammenfassend zeigte sich, dass insgesamt bei knapp einem Drittel der bearbeiteten Aufgaben unaufgefordert Notizen gemacht wurden. Im Rahmen der ersten Studie konnte festgestellt werden, dass bei bestimmten Aufgabentyp die Elaboration der Notizen einen starken Prädiktor für die Lösungsrate darstellte. Diese Ergebnisse wurden in der zweiten Studie überprüft und die Aufgaben auf drei Sprachkomplexitätsniveaus variiert. Erste Ergebnisse zeigen, dass sprachlich höhere Anforderungen, gesteigerte Leselust und der Einsatz verschiedener Lesestrategien mit vermehrtem Notizenmachen verbunden sind. Insgesamt steht das Mitschreiben in einem deutlichen Zusammenhang mit dem richtigen Rechenweg und dieser wiederum mit der richtigen Lösung. Eine Besonderheit der zweiten Studie ist das eigens entwickelte Instrument zur Erhebung des Textverstehens, welches vor der Bearbeitung der mathematischen Fragestellung eingesetzt wurde. Diese Ergebnisse befinden sich zum aktuellen Zeitpunkt noch in Berechnung, weisen jedoch aktuell eher geringere Effekte auf das Anfertigen von Notizen auf. Bezüglich personenbezogener Merkmale zeigen beide Studien Gendereffekte. So scheinen beispielsweise Mädchen mehr Notizen als Jungen anzufertigen, jedoch erbringen Jungen dessen ungeachtet bessere Leistungen.

Analytischer Kompetenzraster für die Textproduktion – Ueli Jurt & Lukas Bannwart (PH Schwyz)

Im Rahmen eines offenen Forschungsprojekts an der PH Schwyz wurde ein analytischer Kompetenzraster für die Textproduktion entwickelt. Dabei wurde das schreibprozess-orientierte Orchestermodell (Baer, Fuchs, Reber-Wyss, Jurt, & Nussbaum, 1995) mit Kriterienrastern zur Bewertung und Beurteilung von Texten (Becker-Mrotzek & Böttcher, 2006; Nussbaumer, 1998) in Verbindung gebracht. Sie zeigen die Kompetenzstufen der Textproduktion vom ersten Schreiben bis zum Abschluss der Volksschule idealtypisch auf: Die Lernenden werden kompetenzorientiert, niveaudifferenziert und stufenübergreifend systematisch gefördert. Zusätzlich werden didaktische Materialien zu den Kompetenzstufen zur Verfügung gestellt und Verbindungen mit dem Lehrmittel „Die Sprachstarken“ aufgezeigt. Das Forschungsprojekt verfolgte zwei zentrale Fragestellungen. Erstens: Kann ein analytischer Kompetenzraster für die Textproduktion für die Lernenden verständlich formuliert werden? Zweitens: Kann der entwickelte Kompetenzraster die Lehrpersonen bei der Diagnose und Förderung der Lernenden in ihrem Kompetenzaufbau des Texteschaffens unterstützen? Der Entwicklungsprozess und dessen Dokumentation wurde im Rahmen des Design-Based-Researched-Ansatzes (Bereiter, 2002; vgl. Schranz, «Design Research», fhnw; vgl. Zala-Mezö, PHZH, 2021) durchgeführt. Die Verständlichkeit des „Analytischen Kompetenzrasters für die Textproduktion“ wurde mit Befragungen der Lehrpersonen und SHPs auf der Zielstufe überprüft und der Kompetenzraster entsprechend angepasst. Im Sinne einer «Schreibförderung und Schreiberziehung» (Abraham, Kupfer-Schreiner & Maiwald, 2004) kann das Schreiben mit „Analytischen Kompetenzrastern“ fächerübergreifend eingebunden werden. Auch als «Sprache der Distanz» (Bräuer, 2000) oder als «reflexive Praxis» ist Schreiben in anderen Schulfächern und Lernkontexten zum Festhalten fachspezifischer Einsichten und Erkenntnisse wichtig (vgl. Frederking & Abraham, 2020). Für diese fächerübergreifende Perspektive bräuchte es allerdings weitere gezielte didaktische Hinweise. Unser Forschungsprojekt „Analytische Kompetenzraster für die Textproduktion“ lässt sich in der aktuellen didaktisch-empirische(n) Schreibforschung (DieS) gut verorten. Zum einen geht es um basale Prozesse des Schreibenlernens in der Volksschule (vgl. Michael Becker-Mrotzek, 12. dieS-Sommerschule 2023 in Köln), zum anderen um das kompetenzorientierte Texteschreiben anhand entsprechender Kriterienraster (vgl. Anita Schilcher und Torsten Steinhoff, 12. dieS-Sommerschule 2023 in Köln).

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