
nets21 – Kolloquium
Kolloquium 04: Projektpräsentationen „Klassenrat“
07.06.2023, PHZH, LAC-H090
Inhalte
Das vierte Kolloquium widmet sich der Vertiefung in die Forschungsprojekte mit dem Schwerpunkt auf den „schülergeleiteten Klassenrat als Partizipationsmöglichkeit in der Schule“ (vgl. SNF-Projekt PH Zug, 2018-2022).
Bei zwei Projektpräsentationen mit anschliessender Diskussion zu den Themenbereichen „Erzählen im Klassenrat“ (Sabrina Roggenbau, PH Zug, MA-Arbeit) sowie „Fragen im Klassenrat – qualitative und quantitative Zugänge“ (Lee Ann Müller, PH Zug, Dissertation) sollen weitere Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte des forschenden Nachwuchses gewonnen werden.
Zum Abschluss des Kolloquiums folgt eine kurzer Ausblick auf weitere Aktivitäten des nets21 sowie ein informeller Ausklang beim gemeinsamen Apéro.
Organisation
Rebekka Studler, Judith Kreuz, Claudia Hefti,
Afra Sturm, Stefan Hauser, Dieter Isler, Britta Juska-Bacher, Hansjakob Schneider
Abstracts Fachvorträge
Sabrina Roggenbau, PH Zug: „Erzählen im Klassenrat – Eine gesprächsanalytische Untersuchung von Konflikterzählungen im Klassenrat einer 5./6. Klasse der Primarschule “
Der Klassenrat gehört in vielen Klassen zum wöchentlichen Alltag, um gemeinsam Anliegen zu besprechen, Ausflüge oder Veranstaltungen zu planen oder das eigene sowie das Verhalten der Klasse in der vergangenen Woche zu reflektieren (Friedrichs 2013). Der Klassenrat dient den Schülerinnen und Schülern aber vor allem auch als Raum, um Konflikte zu besprechen und Lö-sungen für diese zu finden (de Boer 2006).
Um gemeinsam Lösungen zu finden, müssen die Schülerinnen und Schüler vorab den jeweiligen Konflikt oder das Ereignis bzw. den Tathergang schildern – sie müssen erzählen was passiert ist.
Der Zusammenhang zwischen verschiedenen kommunikativen Teilfähigkeiten und dem Lösen von Konflikten ist auch in mehreren Stellen im Lehrplan 21 verankert, unter anderem bei den überfachlichen Kompetenzen: «Sie erwerben soziale und kommunikative Fähigkeiten und ler-nen, mit anderen Kindern zusammenzuarbeiten, Konflikte zu lösen und mit Vielfalt umzugehen» (D-EDK, LP 21 AG, 30-31) oder bei den sozialen Kompetenzen: «Die Schülerinnen und Schüler können Formen und Verfahren konstruktiver Konfliktbearbeitung anwenden» (D-EDK, LP 21 AG, 42).
Hierfür spielt das Schildern der Konfliktsituation, das Erzählen des Ereignisses, eine wichtige Rol-le, da dies oft den ersten Schritt im Konfliktlöseprozess darstellt. Demzufolge ist das Erzählen, also die Fähigkeit, kohärent und logisch ein vergangenes Ereignis zu schildern, ein Teilschritt zur Konfliktlösung, auf welchem dann die weiteren Schritte und Verfahren zur Lösung des Konflik-tes beruhen.
Dieses alltägliche Erzählen im Klassenrat wird in dieser Arbeit gesprächsanalytisch mit dem GLOBE-Modell nach Hausendorf und Quasthoff (2005) untersucht. Dabei werden die ausge-wählten Sequenzen hinsichtlich Jobs, Mittel und Form analysiert.
Das Ziel der Arbeit ist es, ein klassenratsspezifisches Erzählen zu definieren und wenn möglich, daraus didaktische Impulse für den Unterricht ableiten zu können.
Literatur
Boer, H. de (2006). Klassenrat als interaktive Praxis: Auseinandersetzung – Kooperation – Imagepflege. Verl. für Sozialwissenschaften.
D-EDK (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz) (2018). Lehrplan 21 AG. Gesamtausgabe. Departement Bildung, Kultur und Sport, Abteilung Volksschule (Hrsg.) https://ag.lehrplan.ch/container/AG_DE_Gesamtausgabe.pdf.
Friedrichs, B. (2013). Praxisbuch Klassenrat: Gemeinschaft fördern, Konflikte lösen Beltz.
Hausendorf, H. & Quasthoff, U. M. (2005). Ein Modell zur Beschreibung von Erzählinteraktion In Har-tung, M. (Hrsg). Sprachentwicklung und Interaktion: Eine linguistische Studie zum Erwerb von Dis-kursfähigkeiten. Verl. für Gesprächsforschung.
Lee Ann Müller, PH Zug: "Interaktive Aushandlung von Partizipation durch offene Fragen im Klassenrat"
Klassenräte haben sich als Partizipationsformat für Schüler:innen zu einem wichtigen Bestandteil des (Schweizer) Schulunterrichts etabliert. Sie haben zum Ziel, sowohl deliberative und argumen-tative Fähigkeiten bezüglich Entscheidungsprozessen als auch sprachliche und soziale Kompeten-zen der Schüler:innen zu fördern (vgl. Friedrichs 2009). Daher kann der Klassenrat als Gefäss bezeichnet werden, das den Schüler:innen in gemeinsamen Diskussionen Gelegenheit bietet, ei-gene Meinungen zu bilden und dadurch auch unterschiedliche Positionen und Perspektiven ein-zunehmen (vgl. bspw. Stadt Zürich 2015: 26, LP21). Im Klassenrat bearbeiten die Schüler:innen soziale Konflikte, indem Fremd- und Selbstpositionierungen ausgehandelt werden oder sie versu-chen, mithilfe von Abstimmungen oder ko-konstruierten Argumentationsverfahren, Unter-richts- oder Schulhofregeln aufzustellen (Hauser und Kreuz 2022). Die Lehrperson hat dabei eine ambivalente Rolle inne, da sie sich einerseits zurückziehen möchte und andererseits durch ihr multimodales Handeln in den Interaktionsprozess eingreift (vgl. Gregori 2021). Mehrere Studien (vgl. u.a. Oliveira, 2010; Rost-Roth 2003) zeigen zudem, dass Lehrpersonen durch Diskursprakti-ken wie offene Fragen Partizipation gezielt fördern können (Böheim et al. 2021: 2). Offene Fra-gen, die nach Positionen und damit Begründungen der Schüler:innen verlangen, können daher eine wichtige Praktik darstellen, um Partizipation im Klassenrat zu unterstützen. In der Datensit-zung soll anhand ausgewählter Sequenzen die folgenden Fragestellungen diskutiert werden:
1. Wo/wann sind strukturierende und verfahrenstechnische Dimensionen von Partizipation durch Diskurspraktiken wie bspw. offene Fragen beobachtbar?
2. Inwiefern werden Partizipationsmöglichkeiten durch offene Fragen im Klassenrat geför-dert oder allenfalls auch verhindert? Wie werden die Schüler:innen befähigt, ihre Positi-onen einzubringen? Welche Funktionen können offene Fragen diesbezüglich einneh-men?
3. Wie können solche Diskurspraktiken analytisch mit den pädagogischen und didaktischen Zielsetzungen in Verbindung gebracht und allenfalls gefördert werden?
Empirische Datengrundlage bilden 54 videografierte Klassenräte der 3. bis 9. Klasse, die sowohl gesprächsanalytisch untersucht als auch mittels Codierungen und korpuslinguistischer Analysen ausgewertet werden.
Literatur:
Böheim, Ricardo; Schnitzler, Katharina; Gröschner, Alexander; Weil, Maralena; Knogler, Maximilian; Schindler, Ann-Kathrin; Alles, Martina; Seidel, Tina (2021): How changes in teachers’ dialogic discour-se practice relate to changes in students’ activation, motivation and cognitive engagement. In: Learn-ing, Culture and Social Interaction 28. https://doi.org/10.1016/j.lcsi.2020.100450.
D-EDK (2016). Lehrplan 21. https://zh.lehrplan.ch/container/ZH_DE_Gesamtausgabe.pdf. Abgerufen am: 03.05.2023.
Friedrichs, Birte (2009). Praxisbuch Klassenrat. Gemeinschaft fördern, Konflikte lösen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.
Gregori, Nina (2021). Lehrpersonenhandeln im Klassenrat. Eine interaktionsanalytische Untersuchung. Bern: Peter LangVerlag.
Hauser, Stefan & Kreuz, Judith (2022). «aber ich finds ein bisschen HEIkel eben,» – Interaktionale Be-arbeitung sozialer Konflikte im Klassenrat. Zeitschrift für angewandte Linguistik 2022 (76), S. 1–29.
Oliveira, Alandeon W. (2010). Improving teacher questioning in science inquiry discussions through professional development. Journal of Research in Science Teaching, 47(4), 422–453. https://doi.org/10.1002/tea.20345.
Rost-Roth, Martina (2003). Fragen – Nachfragen – Echofragen. Formen und Funktionen von Interroga-tionen im gesprochenen Deutsch. Linguistik Online, S. 325-378.
Stadt Zürich (2005). Der Klassenrat. Ein Praxisleitfaden zur Einführung und Institutionalisierung des Klassenrats. Zürich: Ressort Volksschule und Betreuung.