nets21 – Kolloquium
Kolloquium 01: Auftakt und Projektpräsentationen
12.05.2022, PHZH, LAB-F015
Inhalte
Das erste Kolloquium widmet sich dem Kennenlernen der Mitglieder sowie der Präsentation und Diskussion verschiedener Forschungsprojekte.
Bei zwei Fachvorträgen zu den Themen „Sprachlern-Eignung“ und „Dialekte in der schulischen Sprachförderung“ soll ein vertiefter Einblick in aktuelle Forschungsprojekte zur Schulsprache gewonnen werden.
Anschliessend werden in Kleingruppen die Forschungsprojekte der Teilnehmenden kurz vorgestellt und diskutiert. Bitte bereiten Sie folgende Fragen dafür vor:
- Was ist der Stand meiner eigenen Forschungsarbeit?
- Welche aktuellen Fragen beschäftigen mich?
- Wo habe ich Diskussionsbedarf?
Zum Abschluss des Kolloquiums folgt eine gemeinsame Diskussion über die Wünsche und Bedürfnisse zur Gestaltung zukünftiger Kolloquien sowie ein informeller Ausklang.
Organisation
Rebekka Studler, Judith Kreuz, Claudia Hefti,
Afra Sturm, Stefan Hauser, Dieter Isler, Britta Juska-Bacher, Hansjakob Schneider
Abstracts Fachvorträge
Prof. Dr. Hansjakob Schneider, PH Zürich: „Wer lernt eine Sprache gut? Sprachdidaktische Betrachtungen zum Konzept der Sprachlern-Eignung“
Dass Spracherwerb und Sprachenlernen (wie jeder Erwerb und jedes Lernen) von individuellen Voraussetzungen abhängen, ist offensichtlich. Welches diese Voraussetzungen aber im Fall des Spracherwerbs bzw. des Sprachenlernens genau sind, ist Gegenstand aktueller Forschungen. In der Forschung zur so genannten Sprachlern-Eignung (language learning aptitude) wurden einige Lernervariablen identifiziert, von denen angenommen wird, dass sie den Sprachlernprozess positiv beeinflussen: Phonetische Kodierfähigkeit, grammatische Sensitivität, induktive grammatische Lernfähigkeit und Wort-Memorierfähigkeit. Ob überdies für den ungesteuerten Erwerb und das schulische Lernen der Schulsprache bzw. einer Fremdsprache dieselben Voraussetzungsvariablen in gleicher Weise wirken, ist noch weitgehend ungeklärt.
Im Vortrag werden diese Fragen am Beispiel des Forschungsprojekts «Language Aptitude at Primary School» (LAPS, vgl. Berthele und Udry 2021) und seiner Resultate diskutiert. Da in der neuesten Forschung angenommen wird, dass einzelne Komponenten der Sprachlern-Eignung (ähnlich wie allgemeine Intelligenz) angeboren sind, stellt sich die Frage, wie die Sprachdidaktik auf unterschiedliche Ausstattungen der Lernenden reagieren kann. Das Spannungsfeld zwischen genetischer Determination und didaktischer Förderung wird am Beispiel der Sprachlern-Eignung bezüglich Englisch als Fremdsprache und Deutsch als Schulsprache untersucht (vgl. Schneider 2021).
Berthele, Raphael und Isabelle Udry, Hrsg. 2021. Individual differences in early instructed language learning. The role of language aptitude, cognition, and motivation. EuroSLA Studies. Berlin: Language Science Press.
Schneider, Hansjakob. 2021. Language aptitude in German as a school language and English as a foreign language in primary school. In: Individual differences in early instructed language learning. The role of language aptitude, cognition, and motivation, hg. von Raphael Berthele und Isabelle Udry, 5:179–195. Eurosla Studies. Berlin: Language Science Press.
Dr. Alexandra Schiesser, PH Zug: "Darf es etwas mehr sein? Zum Stellenwert der Dialekte in der schulischen Sprachförderung“
Deutsch in der Schweiz kennt grundsätzlich zwei Ausprägungen: die Standardsprache und die Dialekte (Ferguson, 1959). Die beiden Varietäten nehmen im Deutschschweizer Alltag je andere Funktionen wahr: Die Standardsprache ist in der Schriftlichkeit präsenter, wohingegen die Dialekte in der Mündlichkeit dominieren (Kolde, 1981), medial wie auch konzeptuell (Koch & Oesterreicher, 1985).
Die Zwiegestalt des Deutschen in der Schweiz betrifft auch die Schule: Im Unterricht sind beide Varietäte, Standarddeutsch und Mundart, immer präsent. Mehr noch als im Alltag, sind sie Moden, Überzeugungen und der Politik ausgesetzt, was dazu führt, dass einmal dem Standarddeutschen, einmal der Mundart mehr Gewicht geschenkt wird (Berthele, 2019). Aktuell sind die Rollen der Varietäten in der Schule mit dem Lehrplan 21 so konturiert, dass der Standardsprache die Hauptrolle und den Dialekten Nebenrollen zukommen. Im Vortrag wird die Frage aufgeworfen, ob diese Rollenverteilung stimmig ist, oder ob es – in zunehmend mehrsprachigen Klassenzimmern (Tracy, 2014; Zingg, 2019) – allenfalls etwas mehr Dialekt sein dürfte.
Diskutiert wird diese Frage auf der Grundlage des Entwicklungsprojekts Mundart – Standard – Mehrsprachigkeit: Schulische Sprachförderung im Spiegel der Varietäten, das derzeit an der PH Zug bearbeitet und vom Rektoratsfonds der PH Zug mit CHF 35’600 unterstützt wird. Zentrales Element des Projekts ist der Austausch zwischen den Projektmitarbeiterinnen: drei Zuger Lehrpersonen, je eine pro Zyklus, und drei Dozentinnen der PH Zug. Über den regelmässigen Austausch ihrer Erfahrungen und Expertisen ist das Projekt inhaltlich gewachsen. Entstanden sind drei Teilprojekte: Teilprojekt 1 widmet sich dem Varietätengebrauch im Kindergarten, Teilprojekt 2 bearbeitet die Mehrsprachigkeit in der Primarschule und Teilprojekt 3 fokussiert die Dialektkompetenz am Übergang Oberstufe – Berufslehre. Alle drei stellen induktiv generierte Fragen zum Umgang mit den Varietäten des Deutschen im Kontext von zunehmend mehrsprachigen Schulen.
Berthele, R. (2019). Alemannisch und der Deutschunterricht. In: Linguistik online 98 (5), 387–409.
Ferguson, C. (1959). Diglossia. Word, (15), 325–340.
Koch, P. & Oesterreicher, W. (1985). Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte. In: Romanistisches Jahrbuch (36), 15–43.
Kolde, G. (1981). Sprachkontakte in gemischtsprachigen Städten. Vgl. Unters. über Voraussetzungen u. Formen sprachl. Interaktion verschiedensprachiger Jugendlicher in d. Schweizer Städten Biel/Bienne u. Fribourg/Freiburg i. Ue (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik, Beihefte, H. 37). Wiesbaden: Steiner.
Tracy, R. (2014). Mehrsprachigkeit: Vom Störfall zum Glücksfall. In M. Krifka, J. Blaszczak, A. Leßmöllmann, A. Meinunger, B. Stiebels, R. Tracy et al. (Hrsg.), Das mehrsprachige Klassenzimmer. Über die Muttersprachen unserer Schüler (S. 13–33). Berlin: Springer Spektrum.
Zingg, I. (2019). Sprache – Macht – Schule. Dekolononiale Perspektive auf die Mehrsprachigkeit. TSANTSA (24), 58–66.