nets21 – Kolloquium

Kolloquium 08: Bilderbuchpraktiken und Schreibflüssigkeit

03.12.2024, PHZH, LAB-F010

Informationen

Anmeldung bis 24.11.24 an: judith.kreuz@phzg.ch

Inhalte

Das achte Kolloquium ist das letzte Kolloquium des nets21 im Rahmen der PgB-Förderperiode. Es widmet sich zwei Forschungsprojekten, die Sprachlichkeit sowohl aus der Perspektive der mündlichen Interaktion (im Kindergartenalltag) als auch in Bezug auf das Schreiben beleuchten.

Claudia Hefti (PH Thurgau) stellt in ihrer Datensitzung eine qualitativ-rekonstruktive Fallstudie vor, in der Einsatz und Nutzung von Bilderbüchern im Kindergartenalltag erforscht werden. Dabei werden Praktiken untersucht, die durch Lehrpersonen, Kinder sowie das Bilderbuch als Akteur:innen interaktiv vollzogen werden. Im Fachvortrag mit Workshop von Pascale Schaller (PH Bern) und Julia Winkes (Uni Fribourg) werden die Teilnehmenden in die Methodik der Lernverlaufsdiagnostik Schreiben eingeführt. Dazu werden Daten und Erkenntnisse aus mehreren quer- und längsschnittlich angelegten Forschungsprojekten gezeigt, die verschiedene Herausforderungen der Diagnostik illustrieren. Anschliessend werden Möglichkeiten der Implementierung des Diagnoseinstruments für den Schreibunterricht diskutiert.

Bei diesen Datensitzungen bzw. Präsentationen sollen weitere Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte auf Doktoratsstufe und Post-Doc-Stufe gewonnen werden.

Zum Abschluss des PgB-Projekts „nets21“ laden wir alle Teilnehmenden zu einem Stehlunch ein.

Organisation

Rebekka Studler, Judith Kreuz, Claudia Hefti,
Afra Sturm, Stefan Hauser, Dieter Isler, Britta Juska-Bacher, Hansjakob Schneider

Programm

Dienstag, 03.12.2024

08:45

Begrüssung durch die Geschäftsstelle und die Kerngruppe

08:45 – 10:15

Datensitzung

Bilderbuchpraktiken im Kindergartenalltag

Claudia Heft (PH Thurgau)
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10:15 – 10:45

Kaffeepause

10:45 – 12:15

Projektpräsentation mit Workshop

Lernverlaufsdiagnostik Schreiben: Ein Werkzeug für die formative Begleitung im Bereich der Schreibflüssigkeit

Pascale Schaller (PH Bern) & Julia Winkes (Uni Fribourg)
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ab 12:15

Ausblick & Ausklang mit Stehlunch

Ausklang mit informellem Austausch bei einem anschliessenden Stehlunch. Alle Teilnehmenden sind dazu herzlich eingeladen!

Abstracts Fachvorträge

Claudia Heft, PH Thurgau: Bilderbuchpraktiken im Kindergartenalltag

Literalität ist in unserer Wissensgesellschaft nach wie vor höchst relevant und bleibt für kulturelle Teilhabe und Bildungserfolg unabdingbar (OECD, 2019). Bekannt ist auch, dass Kinder literale Kompetenzen bereits im Vorschulalter aufbauen und dass – gerade für Kinder im Schuleingangsbereich – der Zugang zu und die Beschäftigung mit Bilderbüchern für den Erwerb literarischer und bildungssprachlicher Kompetenzen sehr bedeutsam sind (z.B. Wieler, 1997; Merklinger, 2015; Knopf & Abraham, 2022). Dabei spielen Gespräche als Erwerbskontexte für sprachliche und literale Fähigkeiten eine zentrale Rolle und ihre interaktive Ausgestaltung ist für das Gelingen von Bildungsprozessen grundlegend (z.B. Bruner, 2002; Hausendorf & Quasthoff, 1996). Entsprechend spielt auch die Ausgestaltung von Bilderbuchpraktiken eine entscheidende Rolle: Vorlesen bzw. Erzählen ist dann lernförderlich, wenn Kinder aktiv an der Ko-Konstruktion beteiligt sind, wobei sämtliche Gelegenheiten und Formen von Anschlusskommunikation relevant sind (Merklinger, 2015; vgl. auch Kruse, 2016). Anschlusskommunikation ist deshalb als Voraussetzung für literarisches und sprachliches Lernen, Lesekompetenz und Lesemotivation zu verstehen.

Bisher fehlen Studien, die die Vielfalt von Bilderbuchpraktiken im Deutschschweizer Kindergarten umfassend in den Blick nehmen. Auch die Untersuchung von Anschlusskommunikation als soziale Praktik, die neben der Lehrperson und den Kindern auch das Werk als Artefakt und damit als relevanten Akteur der Sinn-Konstruktion untersucht (Schatzki, 2016), war bisher kaum präsent.
Hier setzt das geplante Dissertationsprojekt an: In dieser qualitativ-rekonstruktiven Fallstudie werden der Einsatz und die Nutzung von Bilderbüchern im Kindergartenalltag erforscht. Dabei werden entsprechende Praktiken untersucht, die durch Lehrpersonen, Kinder sowie das Bilderbuch als Akteur:innen interaktiv vollzogen werden. Bearbeitet werden folgende Fragestellungen:

  1. Welche Bilderbuchpraktiken (Interaktionen mit Einbezug von Bilderbüchern als physische Objekte und/oder Sinnwelten) lassen sich im Kindergartenalltag beobachten?
  2. Wie werden diese Praktiken von den Akteur:innen interaktiv realisiert?
  3. Lassen sich Muster rekonstruieren, z.B. bezüglich Grundverständnissen der Lehrpersonen, Motivationen der Kinder oder Zugänglichkeiten literarischer Merkmale der Bilderbücher?
  4. Lassen sich aus diesen Mustern im Vergleich der Sequenzen und Fälle Formen und Gelingensbedingungen von Anschlusskommunikationen im Kindergartenalltag ableiten?

In zunächst zwei bezüglich sozial-räumlicher Kontexte kontrastierenden Kindergartenklassen wird der Unterrichtsalltag während drei bis vier Tagen videografisch dokumentiert. Ausgewählte Videosequenzen werden in Datensitzungen sequenzanalytisch ausgewertet (Tuma, Schnettler & Knoblauch, 2013). Zusätzlich werden Gruppengespräche mit Kindern geführt und die Lehrpersonen schriftlich befragt. Im weiteren Verlauf der Studie werden im Sinne des Theoretical Sampling (Strauss & Corbin, 1996) die Fragestellungen verfeinert und weitere Fälle rekrutiert, um darauf zugeschnittene Fälle und Situationen zu erheben und zu analysieren. Ziel dieser Studie ist es, die Vielfalt von Bilderbuchpraktiken im Kindergarten auf der Ebene von Mikroprozessen zu beschreiben, zu verstehen und konzeptionell zu fassen.

An der Datensitzung wird in einem ersten Teil das Forschungsvorhaben vorgestellt, im zweiten Teil werden erste Videodaten gemeinsam sequenzanalytisch analysiert.

Literatur:

Bruner, J. S. (2002). Wie das Kind sprechen lernt. Psychologie-Sachbuch (2., erg. Aufl.). Bern; Göttingen [u.a.]: Huber.

Hausendorf, H. & Quasthoff, U. M. (1996). Sprachentwicklung und Interaktion. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. <http://dx.doi.org/10.1007/978-3-663-11463-5>

Knopf, J. & Abraham, U. (Hrsg.). (2022). BilderBücher. Band 1: Theorie / herausgegeben von Julia Knopf und Ulf Abraham. Deutschdidaktik für die Primarstufe (3., unveränderte Auflage.). Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren.

Kruse, I. (2016). Gut vorlesen. Textpotenziale entfalten Schulisches Bilderbuchvorlesen ni empirischer Überprüfung*. In A. Pompe (Hrsg.), Literarisches Lernen im Anfangsunterricht: theoretische Reflexionen, empirische Befunde, unterrichtspraktische Entwürfe (3. unveränderte Auflage., S. 102–121). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren GmbH.

Merklinger, D. (2015). Vorlesen in der Schule. In M. Dehn & D. Merklinger (Hrsg.), Erzählen – vorlesen – zum Schmökern anregen, Beiträge zur Reform der Grundschule (S. 88–97). Frankfurt am Main: Grundschulverband.

OECD. (2019). PISA 2018 Results (Volume I): What Students Know and Can Do. PISA. OECD. <http://dx.doi.org/10.1787/5f07c754-en>

Schatzki, T. R. (2016). Materialität und soziales Leben. In H. Kalthoff, T. Cress, & T. Röhl (Hrsg.), Materialität. Herausforderungen für die Sozial- und Kulturwissenschaften (S. 63–88). Paderborn: Fink.

Strauss, A. L. & Corbin, J. M. (1996). Grounded theory: Grundlagen qualitativer Sozialforschung (Unveränd. Nachdr. der letzten Aufl.). Weinheim: Beltz.

Tuma, R., Schnettler, B. & Knoblauch, H. (2013). Videographie: Einführung in die interpretative Videoanalyse sozialer Situationen. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. <http://dx.doi.org/10.1007/978-3-531-18732-7>

Wieler, P. (1997). Vorlesen in der Familie: Fallstudien zur literarisch-kulturellen Sozialisation von Vierjährigen. Lesesozialisation und Medien. Weinheim: Juventa-Verl.

Pascale Schaller, PH Bern & Julia Winkes (Uni Fribourg): Lernverlaufsdiagnostik Schreiben: Ein Werkzeug für die formative Begleitung im Bereich der Schreibflüssigkeit

Präsentation und Workshop führen die Teilnehmenden in die Methodik der Lernverlaufsdiagnostik Schreiben (LVD-Schreiben; Curriculumbasiertes Messen Schreiben) ein. Dabei handelt es sich um eine diagnostische Möglichkeit, die Schreibflüssigkeit von Schüler:innen durch kurze Schreibproben wiederholt zu erfassen und die entstandenen Texte mittels unterschiedlicher Auswertungsmethoden zu analysieren. Die Schüler:innen erhalten dafür einen kurzen Schreibimpuls in Form eines einleitenden Satzes und eine Schreibzeit zwischen drei und sieben Minuten. Ausgewertet wird, wie viel Text in dieser Zeit korrekt und leserlich verfasst werden konnte.

Lernverlaufsdiagnostik allgemein bietet Lehrpersonen die Chance, Lernentwicklungen über die Zeit zu dokumentieren und ihre pädagogischen Entscheidungen darauf abzustützen (Hosp et al., 2016). Sie kann mit verschiedenen Zielsetzungen im Unterricht eingesetzt werden (z.B. als Screening für die gesamte Klasse oder als engmaschiges Beobachtungsinstrument für einzelne Schüler:innen). Im Bereich des Schreibens ist die LVD allerdings mit einigen Herausforderungen konfrontiert; es zeigt sich etwa eine teilweise grosse intraindividuelle Variabilität zwischen verschiedenen Schreibproben zu einem Messzeitpunkt. Wir zeigen exemplarisch Daten und Erkenntnisse aus unterschiedlichen quer- und längsschnittlich angelegten Forschungsprojekten (Winkes & Schaller, 2022a, 2022b), um diese Herausforderungen zu illustrieren und daraus Rückschlüsse für realistische Implementationsmöglichkeiten in der Praxis zu ziehen. Dabei möchten wir den Schwerpunkt insbesondere auf die Frage legen, welchen didaktischen Mehrwert die Methode bieten kann, den Schreibunterricht entwicklungssensibel und adaptiv zu gestalten. Wir streben an, gemeinsam mit den Teilnehmenden zu diskutieren, in welcher Hinsicht das Verfahren optimiert werden könnte, um es adäquat in den Unterricht einzubetten

Literatur

Hosp, M. K., Hosp, J. L. & Howell, K. W. (2016). The ABC’s of CBM: A practical guide to curriculum-based measurement (Second edition). The Guilford practical intervention in the schools series. The Guilford Press.

Schaller, P., Winkes, J. & Dobler, T. (2024): Lernverlaufsdiagnostik macht Schule. SZH 30 (04), S. 35–41. https://doi.org/10.57161/z2024-04-06.

Winkes, J. & Schaller, P. (2022a). Generalizability of Written Expression Curriculum-Based-Measurement in the German Language: What Are the Major Sources of Variability? Frontiers in Education, 7, Artikel 919756. https://doi.org/10.3389/feduc.2022.919756

Winkes, J. & Schaller, P. (2022b). Lernverlaufsdiagnostik Schreiben (LVD – Schreiben): Reliabilität, Validität und Sensitivität für mittelfristige Lernfortschritte im deutschsprachigen Raum. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 91, 1–26. https://doi.org/10.2378/vhn2022.art22d

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